Künstliche Intelligenz (KI) kann Fachkräfte im Klinikalltag schon jetzt bei Routineaufgaben entlasten. Und wenn es körperlich anstrengend wird, haben bald Assistenzroboter ihren Einsatz. Ein Blick in die Zukunft.

Behutsam dreht der Assistenzroboter die Patientin im Bett zur Seite. Eine weiche, gleitende Bewegung, gerade so weit wie nötig, damit die Pflegefachkraft ein frisches Laken auflegen kann. Dann lagert er die Frau ebenso sanft zurück und dreht sie zur anderen Seite. Unzählige Male hat das Projektteam an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen diese und ähnliche Situationen durchgespielt. Denn in Wirklichkeit handelt es sich in der Videoaufzeichnung um keine echte Patientin, sondern eine freiwillige Probandin, und der Roboter durchläuft eine Testphase, die Ende vergangenen Jahres abgeschlossen war.

Mit deren Ergebnissen ist Professorin Catherine Dißelhorst-Klug vom Institut für Angewandte Medizintechnik an der RWTH mehr als zufrieden. Gemeinsam mit einem Team aus Pflegewissenschaftlern sowie Pflegefachpersonen der Uniklinik RWTH Aachen hat die Abteilungsleiterin Lehr- und Forschungsgebiet Rehabilitations- und Präventionstechnik den Assistenzroboter entwickelt und getestet. Drei Jahre hat das Projekt in Anspruch genommen, jetzt wird die offizielle Zulassung vorbereitet.

Zeitliche und körperliche Entlastung für Pflegekräfte

Als Anlass für das Projekt nennt Professorin Catherine Dißelhorst-Klug zwei Hauptgründe: „Auf der einen Seite haben wir einen erheblichen Mangel an Pflegefachpersonen, insbesondere in personalintensiven Bereichen, zum Beispiel auf Intensivstationen.“ In der Regel sind zwei Pflegekräfte gefordert, wenn Patienten gedreht, positioniert oder gewaschen werden müssen. Sie fehlen in dieser Zeit an anderer Stelle, und es zeichnet sich schon jetzt ab, dass der Fachkräftemangel zunimmt. Gleichzeitig zeigten Studien vermehrt Rückenbeschwerden bei Pflegefachpersonen. „Um sie in diesen Situationen körperlich zu entlasten, kann die Robotik einen Teil der körperlichen Last übernehmen“, so die Professorin.

Zuverlässige Diagnosen durch Künstliche Intelligenz

Schon längst spielt Künstliche Intelligenz (KI) eine zunehmend wichtige Rolle in der Medizin. Computer-Algorithmen können Vitalwerte messen, überwachen und bei Verschlechterung oder Unterversorgung das Personal alarmieren. Sie können die Dokumentation und Einordnung von Daten übernehmen und sehr zuverlässig Diagnosen stellen. Und es geht rasant weiter: Der kleine Roboter „Pepper“ mit seinen freundlichen Kulleraugen wird bereits in der Behinderten- und Altenhilfe getestet, eine Pflegebrille könnte Personal am Krankenbett bald medizinische Infos anzeigen, ein Körperscan Schmerzen lokalisieren, um nur einige Beispiele zu nennen.

Wie kann ein Roboter pflegen?

Die Entlastung bei körperlich anstrengenden Tätigkeiten im Pflegealltag stelle jedoch eine ganz andere Herausforderung dar, sagt Dr. Astrid Stephan, Leiterin der Stabsstelle Pflegewissenschaft an der Uniklinik RWTH Aachen, die das Projekt aus pflegewissenschaftlicher Sicht begleitete. Denn umso praxisnah wie möglich zu forschen, ließen sich die Entwicklungsingenieure von Pflegewissenschaftlern und -fachpersonen beraten. „Wir haben zunächst gemeinsam Bedarfe ermittelt und herausgefunden, welche Tätigkeiten ein Roboter Pflegekräften im Alltag überhaupt abnehmen, kann“, erklärt Dr. Astrid Stephan. In der Folge wurde beleuchtet, wie ein solches Gerät gebaut sein muss, um für menschlichen Kontakt geeignet zu sein, oder andersherum gefragt, wie es nicht sein sollte und was nicht passieren dürfe. Zum Beispiel: Wo soll ein Roboter Patienten anfassen? Die Antwort in diesem Fall: an Schultern und Hüfte. Denn anders als etwa in der Autoindustrie ist das Greifen in der Pflege tabu. Hier hingegen fungiert der Roboterarm eher wie die weich und ergonomisch geformte Schaufel eines Baggers, die mithilfe einer Kamera zur richtigen Körperstelle gelenkt wird.

Angenehme Berührung

Die freiwilligen, gesunden Probanden fühlten sich in der Testphase beim Aachener Assistenzroboter im wahrsten Sinne „gut aufgehoben“, und auch Dr. Astrid Stephan bestätigt: „Es ist erstaunlich angenehm, von dem Roboter berührt zu werden. Es fühlt sich an wie eine ganz natürliche Bewegung.“ Eventuellen Ängsten bei den Beschäftigten vor drohendem Personalabbau setzen die Projektbeteiligten entgegen: Gerade bei körperlich anstrengenden Aufgaben entlaste der behutsame Roboterarm Pflegefachpersonen vor Überlastung und setze neue Ressourcen bei den Mitarbeitenden frei, etwa für Zwischenmenschliches. Denn statt zweien sei nur eine Fachkraft gebunden – nämlich zur Überwachung des Roboters. „Wir schenken Pflegefachpersonen Zeit, in der sie ihre Aufmerksamkeit zum Patienten hinlenken können“, beschreibt es Dr. Astrid Stephan.

Die Vorbehalte werden jedoch auch vom Gesetzgeber ernst genommen. So beschäftigt sich der Forschungsverbund VUKIM (Verantwortungsvoller Umgang mit Künstlicher Intelligenz in der Medizin) noch bis November 2024 mit den Erleichterungen, aber auch möglichen ethischen Konflikten, die von KI im Klinikalltag ausgehen. Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), soll das Projekt Leitlinien zur Orientierungs- und Entscheidungshilfe entwickeln.

Akzeptanz bei Patienten

Neben Deutschland gehört Japan zu den am schnellsten alternden Gesellschaften unter den Industrieländern. Zwar zeigen sich die Japaner und auch Südkoreaner offener im Umgang mit Servicerobotern, die hauptsächlich in Pflegeheimen eine Rolle spielen. Im internationalen Vergleich sei Deutschland in der Robotik aber gut aufgestellt, sagt Professorin Catherine Dißelhorst-Klug. Sie denkt schon weiter und kann sich eine Sprachsteuerung vorstellen, die den künstlichen Kollegen von Zimmer zu Zimmer zu seinen Aufgaben schickt. Und was sagen die Personen zum Assistenzroboter, die möglicherweise bald von seinem Einsatz profitieren könnten? Eine Befragung von Patienten und Angehörigen nach einer Videodemonstration habe ein sehr positives Feedback ergeben, berichtet die Projektleiterin: „Ich hätte mit mehr Skepsis gerechnet. Das Ergebnis hat mich extrem gefreut!“ 

Erscheinungszeitpunkt: Mai 2024

Bildquelle: Fliedner Fachhochschule,  LuF Rehabilitations- & Präventionstechnik der RWTH Aachen (RPE)

Künstliche Intelligenz in der Pflege

 Chancen:

  • Schneller Zugriff auf Informationen und beschleunigte Entscheidungsfindung
  • Effektive Datenverwaltung
  • Mehr Zeit für menschliche Nähe und Kommunikation.

Grenzen:

  • Noch ist der Einsatz sehr teuer
  • Aufwendige Personalschulung
  • Teilweise bestehen Ängste vor Personalabbau oder Überwachung

Wortweiser

Künstliche Intelligenz (KI)

Vereinfacht gesagt, versteht man unter künstlicher Intelligenz maschinelles Lernen. Dabei soll ein Computer-Algorithmus Muster und Bilder erkennen und weiterentwickeln. Im zukünftigen Pflegealltag kann KI beispielsweise fehlendes Verbrauchsmaterial bestellen, Testergebnisse überprüfen oder in der Dokumentation unterstützen.

Roboter

Ein Roboter ist im Wesentlichen eine Maschine oder äußere Hülle, die Bewegungsabläufe, Tastsinn und Feinfühligkeit beherrscht. Bisher sind meist Serviceroboter im Einsatz, die einfache Bewegungen ausführen können, zum Beispiel Gegenstände aufheben und transportieren, Böden wischen oder beim Trinken helfen. Vereinzelt „sitzt“ in Robotern eine künstliche Intelligenz.  

Wir schenken Pflegefachpersonen Zeit, in der sie ihre Aufmerksamkeit zum Patienten hinlenken können.

Dr. rer. medic. Astrid Stephan

Leiterin der Stabsstelle Pflegewissenschaft an der Uniklinik RWTH Aachen

Der Assistenzroboter spart kein Personal ein, sondern setzt neue Ressourcen bei den Mitarbeitenden frei.

Prof. Dr. rer. nat. Catherine Dißelhorst-Klug

Institut für Angewandte Medizintechnik, Abteilungsleiterin Lehr- und Forschungsgebiet Rehabilitations- und Präventionstechnik an der RWTH Aachen