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Gesundheitspolitik bedeutet häufig Sparpolitik. Doch in stetig unsicherer werdenden Zeiten kann Sparsamkeit zum Sicherheitsrisiko werden. Dann nämlich, wenn Bettenreserven aufgelöst werden oder kein Geld für umfassende Übungen da ist. Krankenhäuser, Ärztevertreter, Zivilschutz und Bundeswehr ringen mit der Frage, welche Redundanzen für ein resilientes Gesundheitssystem nötig sind.
Naturkatastrophen, Krieg, Terrorangriffe und Attacken auf IT-Systeme, Bahnanlagen oder Strommasten werfen mit beunruhigender Regelmäßigkeit die Frage auf, wie sicher und krisenfest die deutschen Infrastrukturen sind. Das Gesundheitswesen gehört dazu. Zudem hat sich „das Risiko für das Eintreten außergewöhnlicher und potenziell schwerwiegender Ereignisse mit negativen Auswirkungen auf die Gesundheit und die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung ... in den letzten Jahren deutlich erhöht“, so der Expertenrat „Gesundheit und Resilienz“ der Bundesregierung in einer Stellungnahme 2024.1 Daran hat sich bis heute nichts geändert. Im Gegenteil: Die medizinische Versorgung rückt mehr und mehr in den Fokus der Sicherheitspolitik. Mit Fragen nach der Resilienz des Gesamtgefüges der Daseinsvorsorge müssen sich also alle föderalen Ebenen befassen. „Gesundheit muss verstärkt als Dimension von Sicherheit verstanden werden“, so Ralph Tiesler, Präsident des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), gegenüber Collegial. „Während bei Sicherheit oft an Soldatinnen und Soldaten, Polizei oder Nachrichtendienste gedacht wird, wird der Gesundheitssektor häufig ausgeblendet – dabei ist er im Krisenfall genauso systemrelevant.“
Diese Systemrelevanz hat die Covid-19-Pandemie deutlich gemacht. Sie war, wie alle damals in Praxen, Gesundheitsämtern und Krankenhäusern Tätigen nie vergessen werden, ein Härtetest. Teilweise wurde dieser Härtetest bestanden, er hat aber auch aufgezeigt, wo das Gesundheitswesen im Allgemeinen und die stationäre Versorgung im Besonderen unzureichend ausgestattet und/oder organisiert waren. Und seither sind die Anforderungen nicht geringer geworden, im Gegenteil. Für einen NATO-Bündnisfall beispielsweise rechnet man mit täglich etwa 1.000 Patienten zusätzlich, die transportiert und in Kliniken versorgt werden müssen. Deutschland wäre, so Gernot Marx, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), am Rande des DGAI-Jahreskongresses 2025, „die Drehscheibe für die Patientenverlegung“2. All dies vor Augen, stellen sich die Verantwortlichen ganz konkret die Frage: Wie gut sind wir vorbereitet?
Das Glas ist doch halb voll. Oder …?
Für die rund 1.700 Krankenhäuser in Deutschland lässt sich sagen, dass das Glas halb voll ist. Das deutsche Krankenhauswesen ist ein leistungsfähiges System. Neben der regulären Grundversorgung der Bevölkerung kann dieses System auch außergewöhnliche Belastungssituationen bewältigen. Für die kontinuierliche Weiterentwicklung resilienter Strukturen gibt es Arbeitskreise, Expertenrunden, Leitlinien, Übungen und Weiterbildungen. Hinzu kommt eine bewährte und tragfähige Vernetzung mit Hilfsorganisationen, die eigene Ressourcen an Material und Personal einbringen können. Auch die Motivation der Mitarbeiter ist eine wertvolle Ressource. Als sich das Unglück auf der Loveparade 2010 in Duisburg herumgesprochen hatte, kamen beispielsweise viele dienstfreie Mitarbeiter unaufgefordert in die Krankenhäuser. Nicht zuletzt die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr ist ein verlässlicher Posten, Stichwort „Flutkatastrophen“. Doch das kann sich auch umkehren. Dr. Ralf Hoffmann, Befehlshaber des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr, mahnte im Oktober vergangenen Jahres vor der Bundesärztekammer (BÄK): „In der Vergangenheit hat der Sanitätsdienst der Bundeswehr regelmäßig in Deutschland das zivile Gesundheitssystem unterstützt. Zukünftig werden sich die Akteure des zivilen Gesundheitssystems im Rahmen der gesamtstaatlichen Verantwortung für die Gesundheitsversorgung verstärkt auch auf die Unterstützung der Bundeswehr vorbereiten müssen.“3
„Krisen, Katastrophen und eine veränderte Sicherheitslage sind keine abstrakte Zukunft, sondern eine Realität, auf die wir uns einstellen und gezielt vorbereiten müssen.“
Ralph Tiesler, Präsident des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
Bild: Henning Schacht für BBK
Es fehlen die Reserven
Also ist das Glas doch halb leer? Wer an den Begriff „Krankenhaus“ denkt, denkt meist „Reform“ hinterher. Auch wenn die von Karl Lauterbach auf den Weg gebrachte Reform nach dem Regierungswechsel möglicherweise erneut reformiert wird, bleibt etwas doch Tatsache: dass unter Spardruck Betten reduziert und auch Krankenhäuser geschlossen werden sollen. An dieser Stelle weisen Bundeswehr, Katastrophenschutz und Sanitätsdienste immer drängender darauf hin, dass dadurch Reserven verschwinden, die für Not-, Katastrophen- und Kriegsfälle unverzichtbar wären. Die Bundeswehr geht für einen Bündnisfall von 10.000 zusätzlich benötigten Betten aus, so Generaloberstabsarzt Ralf Hoffmann. Gibt es keine Reserven, kann es zu einer Konkurrenz von zivilen und militärischen Patienten kommen. Doch es sind nicht nur die Betten. Personalmangel ist ein hartnäckiger Begleiter des Gesundheitswesens geworden, davon können Rettungsdienste, Arztpraxen und Krankenhäuser schon lange ein Lied singen. Zudem muss befürchtet werden, dass die Versorgung mit Sanitätsmaterial, persönlicher Schutzausrüstung für die Mitarbeiter oder Instrumenten und Geräten in einer Krisenlage nicht kontinuierlich gesichert sein wird, auch hier hat Covid 19 schnell die Bevorratungs- und Beschaffungslücken aufgezeigt. Und wie sieht es mit Rettungswagen und Rettungshubschraubern aus? Drastisch hat es DGAI-Vorsitzender Gernot Marx formuliert: „Wir sind im Moment nicht ausreichend kriegstüchtig. Wir haben keine Konzeption, wir haben keine ausreichende digitale Vernetzung und wir haben keine klar definierten Prozesse und Strukturen.“2
Aber nach dem Motto „Gewarnt ist gewappnet“ ist auch ein neuer Sinn für Dringlichkeit entstanden. BBK-Präsident Ralph Tiesler bringt es auf den Punkt: „Krisen, Katastrophen und eine veränderte Sicherheitslage sind keine abstrakte Zukunft, sondern eine Realität, auf die wir uns einstellen und gezielt vorbereiten müssen. Ein solches Mindset mit Blick auf Krisentauglichkeit braucht es in der gesamten Gesellschaft – aber besonders auch im Gesundheitswesen, bei Entscheidungsträgern und Fachkräften.“ Gleichermaßen fordert auch der Expertenrat „Gesundheit und Resilienz“ die „Zuweisung klarer Zuständigkeiten und Erarbeitung gemeinsamer Konzepte für Health-Security-Szenarien. Kooperation, Koordination und Kommunikation von Akteuren und Strukturen müssen regelmäßig trainiert und mit entsprechenden Ressourcen sowie einer relevanten Vorhaltung ausgestattet werden.“1
Ein wichtiger Faktor für ein resilientes Gesundheitssystem sind konkrete Belastungstests in Form von Übungen – von Planspielen über Mitarbeiter- und Spezialschulungen bis zur Vollübung eines Katastrophenfalls in einer Klinik.
Bild: Frank Hähn (BBK)
Krankenhäuser, Ärztevertreter, Zivilschutz und Bundeswehr ringen mit der Frage, welche Redundanzen für ein resilientes Gesundheitssystem nötig sind.
Bild: Frank Hähn (BBK)
Wer ist wie gut vorbereitet?
Nun ist Handeln gefragt, sowohl beim Bund, auf Länderebene als auch in den einzelnen Häusern. Über allem schwebt die Frage: Ist das Immer-enger-auf-Kante-Nähen der Krankenhausplanung in unsicherer werdenden Zeiten noch vertretbar? Hier werden die politisch Verantwortlichen angesichts einer sich rapide verändernden Sicherheitslage Klartext sprechen müssen. Währenddessen bemühen sich die Verantwortlichen in den Krankenhäusern, sich krisenfest gegenüber allen möglichen Bedrohungen zu machen. Handbücher wie das vom BBK herausgegebene „Handbuch Krankenhausalarm und -einsatzplanung“ mit vielfältigen Szenarien und Handlungsempfehlungen zeigen die Komplexität des Unterfangens auf und geben auch praxiserprobte Hinweise. Ein wichtiger Faktor sind konkrete Belastungstests in Form von Übungen. Deren Umfang reicht von Planspielen über Mitarbeiter- und Spezialschulungen bis zur Vollübung eines Katastrophenfalls in einer Klinik. Doch solche großen Übungen kosten Geld, viel Geld. Auch hier stoßen also Erfordernisse und Sparzwang aneinander. Das kritisierte Susanne Johna, Vorsitzende des Marburger Bundes, bei der BÄK-Tagung: „Zeit kostet Geld und das Geld ist nicht da. Wenn wir Übungen wollen, müssen wir die Krankenhäuser dazu verpflichten und das auch finanzieren.“4
Das Thema jedenfalls ist bei den Krankenhäusern als Großstrukturen und als Anlaufstellen für Notfälle angekommen. Weniger im Fokus hingegen sind die niedergelassenen Ärzte, doch auch sie fragen sich beispielsweise, wie sie denn in einem Ernstfall mit Material oder Strom versorgt würden. Und wie sollen die ambulanten Pflegedienste, die ihre Patientinnen und Patienten Zuhause versorgen, die Betreuung und Versorgung ihrer oft nicht mehr mobilen Patienten sicherstellen? Als Thema für das gesamte Gesundheitswesen steht die „Health Security“ noch ziemlich am Anfang.
Wenn Sie drei Wünsche frei hätten …
Ralph Tiesler, Präsident des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
Erstens: ein Umdenken
Krisen, Katastrophen und eine veränderte Sicherheitslage sind keine abstrakte Zukunft, sondern eine Realität, auf die wir uns einstellen und gezielt vorbereiten müssen. Um sich hier sinnvoll vorbereiten zu können, braucht es neben Konzepten, Technik und Mitteln vor allem auch Personal, das sich mit der Thematik (z. B. Verletztenversorgung bei Ressourcenknappheit über einen langen Zeitraum hinweg) auseinandersetzt, sich fortbildet und den Ernstfall trainiert.
Zweitens: nachhaltige Finanzierung und verlässliche Strukturen
Der gesundheitliche Bevölkerungsschutz braucht eine solide, dauerhafte Finanzierung – über alle Aufgabenbereiche hinweg: präklinische Versorgung, klinische Versorgung, strategischer Patiententransport, Sanitätsmaterialbevorratung und medizinischer CBRN-Schutz (CBRN = chemische, biologische, radiologische und nukleare Gefahren).
Drittens: ein starkes Gesamtsystem Bevölkerungsschutz
Hierzu zählen beispielsweise verstärkte gemeinsame Übungen aller Akteure vom Krankenhaus bis zu einem Verwaltungsstab, von der Präklinik bis zum Sanitätsmateriallager, aber auch ein geteiltes Lagebild und eine vernetzte Ressourcenkoordination.
Erscheinungszeitpunkt: Oktober 2025
Bildquelle: Frank Hähn (BBK)
Redaktion: mk Medienmanufaktur GmbH
Definition „Health Security“
Expertenrat „Gesundheit und Resilienz“ der Bundesregierung (Mai 2024): „Health Security (Gesundheitssicherheit) bezeichnet Fähigkeiten, Ressourcen und Strukturen, welche Gesellschaften in die Lage versetzen, sich vor sicherheitsrelevanten Ereignissen mit negativen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit zu schützen bzw. deren Auswirkungen zu minimieren. Vorbereitung, Vorhaltung, klar geregelte Zuständigkeiten und trainierte Abläufe sowie eine evidenzbasierte Risikokommunikation sind Eckpfeiler einer effektiven Health Security.“
Quelle: https://nako.de/aktuelles/expertinnenrat-gesundheit-und-resilienz-bilanz-nach-einem-jahr/
Weiterführende Informationen
Deutsches Rotes Kreuz e. V. (2023): Resiliente Krankenhausinfrastrukturen. Stärkung der medizinischen Versorgung in Krisen und Katastrophen.
Download: https://www.drk.de/forschung/newsdetail/neue-publikation-im-rahmen-von-resik/
Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (2020): Handbuch Krankenhausalarm- und einsatzplanung. Empfehlungen für die Praxis zur Erstellung eines individuellen Krankenhausalarm- und -Einsatzplans.
Download:
https://www.bbk.bund.de/DE/Themen/Gesundheitlicher-Bevoelkerungsschutz/Krankenhausalarmplanung/krankenhausalarmplanung_node.html
Durch regelmäßige Übungen und Unterweisungen kann sichergestellt werden, dass allen Mitarbeitern die Maßnahmen bei einer Räumung bzw. Evakuierung bekannt sind.
Bild: Pixabay/paologhedini
Eine Planung zur Raumverteilung sowohl für den ambulanten als auch den stationären Bereich ist in Krisenfällen unabdingbar.
Bild: Frank Hähn (BBK)
